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Nachberichte

Leben zwischen Mauern

Mi., 21. November 2018

Betlehem - Leben zwischen Mauern

Mauern bestimmen den Alltag der Menschen in Betlehem. Eine Christin aus Betlehem gab dazu vor Schülern und im Bildungs­zentrum St. Benedikt in Seitenstetten einen besonderen Geschichtsunterricht.

Faten Mukarker ist Palästinenserin. Sie lebt in Bet Jala, einem Stadtteil von Betlehem. Ihre Familie gehört zu den immer weniger werdenden Chris­ten in der Geburtsstadt Jesu. Bald nach ihrer Geburt ging die Familie nach Deutschland, als sie 18 war, kehrte die Familie nach Betlehem zurück, Faten wurde verheiratet. Heute zeigt sie Pilgern die christlichen Stätten in Palästina, lädt sie in ihr Haus, zum Gespräch über die Sehnsucht nach Frieden, nach einer Zukunft in Freiheit und ohne Angst.

Gast in Fatens Haus war vor einem Jahr auch der Seitenstettner Abt Petrus Pilsinger, den sie an Orte im Westjordanland führte, die nicht viele Pilger sehen. Nun berichtete die selbstwusste Christin aus Betlehem im Bildungszent­rum St. Benedikt in Seitenstetten über das „Leben zwischen Mauern“, über Erfahrungen von Gewalt und Ohnmacht, aber auch von Momenten der Hoffnung.

Die Geschichte spiegelt sich in Palästina wie kaum wo sonst. Perser, Griechen, Römer, Kalifen, Kreuzfahrer, Osmanen und Briten waren als „Besucher“ da, „aber wir sind gastfreundlich“, scherzt Faten Mukarker. Die UNO-Resolution vom 14. Mai 1948 und die Gründung des Staates Israel kommentierte ihr Großvater so: „Man beschloss eine Wiedergutmachung für ein Volk, aber auf Kosten von einem anderen Volk.“ Und: „Der Konflikt ist nicht von hier, er wurde importiert.“ Palästinenser und Juden hätten stets friedlich zusammengelebt. Seit 1967 sind das Westjordanland und der Gazastreifen durch Israel „besetzte Gebiete“. „Kann Militärbesetzung human sein?“, stellt Faten als Frage in den Raum. Traurig ist für sie, dass viele Christen das Heilige Land verlassen, sogar ihr ältester Sohn. „Das Heilige Land ohne Christen ist wie Disneyland – die Menschen kommen nur, um zu schauen“, sagt sie.

Politik ist in Fatens Bericht allgegenwärtig. Und auch im Leben der heutigen Einwohner Betlehems. Der einzige Wald in Betlehem ist einer israelischen Siedlung gewichen, umgeben von Stacheldrahtverhauen. Ein Kind fragte sie, warum diese Menschen so einen Zaun um ihr Land bauen. Die schlichte Antwort: Wenn es ihr Land wäre, würden sie diesen Zaun nicht brauchen.

Das Heilige Buch – die Bibel – sei heute zur Besitzurkunde und zum Grundbuch geworden, beklagt Faten Mukarker. Besitzurkunden aus osmanischer Zeit hätten in den Augen israelischer Siedler demgegenüber keine Gültigkeit.

Auch das Wasser ist nicht gerecht verteilt. „Das Wasser aus dem Westjordanland geht zuerst nach Israel und wird dann an uns verkauft“, beschreibt die Palästinenserin die absurde Situation. Andererseits gebe es „Siedlungen in unserem Land“ mit grünen Wiesen und Bäumen. Diese Siedlungen seien längst in Groß-Jerusalem eingemeindet.

Beim Bau der Mauer vor bald 15 Jahren wurden auch Olivenbäume von Fatens Familie gerodet. „Man ist mit diesen Bäumen verwurzelt, die Urgroßväter haben sie gepflanzt“, so Faten. Sie suchte das Gespräch mit den anwesenden Militärs – bis diese mit Tränengas drohten. Oft trennt die Sperranlage die Eigentümer von ihrem Land. Die Mauer hat den Menschen die Existenzgrundlage genommen. Aus der Sicht Israels handelt es sich um eine Sicherheitsmauer, für die Menschen dahinter ist es eine „Landenteignungsmauer“, mitsamt allen Begleitbauten fast durchwegs auf ihrem Grund errichtet.

„Menschen in diesem Land sind müde geworden dieser Hassspirale von Vergeltung und Vergeltung und Vergeltung. Aber wir haben extremes Denken auf beiden Seiten, Menschen, die jeden Millimeter Land für sich allein wollen“ – ein ausweglos scheinender Konflikt.

„Wir dürfen nicht schweigen, wenn Menschenrechte verletzt werden“, so die Betlehemitin. Auf beiden Seiten der Mauer gebe es aber auch Menschen, die einen gerechten Frieden suchen. „Die Welt nennt uns Terroristen“, sagt Faten Murkarker. Wegen der großen Entbehrungen würden junge Menschen schnell anfällig für extremes Denken. Sie teilt die Überzeugung, dass nicht noch mehr Waffen, sondern nur ein Friede die Garantie für Israels Existenz sein könne.

Faten zeigt Bilder der Sperrmauer mit aufgesprühten Kunstwerken. Eines zeigt, weithin sichtbar, eine Ikone der Gottesmutter – sie weint. Doch die Hoffnung bleibt lebendig. Auch der Fall der Berliner Mauer war ein Wunder, meint sie und ergänzt: „Ich lebe im Land der Wunder.“

Kirche bunt - Leopold Schlager

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